Ein Brief durch die Zeit
oder: Vom Tafelsilber unserer Kirchen
von Beate Hadlich, 09.11.2022
Anfang November fand eine besondere Gemeindveranstaltung statt, die manche Aufregung ausgelöst und wunderbare Überraschungen bereitgehalten hat: Aus allen Kirchen unserer Kirchgemeinde wurde für zwei Tage das Abendmahlsgeschirr in der Jakobikirche ausgestellt. Der Leiter des Kunstdienstes unserer Landeskirche hat uns verschiedenen Stücke nach Alter und Besonderheiten vorgestellt. Es war überraschend, was neben vielen üblichen Kelchen und Kannen, Hostiendosen und Taufschalen auch für besondere Stücke auf den Altären unserer sonntäglichen Abendmahlsfeiern in Gebrauch sind. Auch das Alter war mitunter beeindruckend. Jedes Teil hat seine Geschichte, jedes Teil erzählt auf seine Weise vom Glauben derer, die es gestiftet haben: Von Dankbarkeit Gott gegenüber, von Freude über geschenkte Zeit als Ehepaar oder über von Gott anvertraute Kinder...
Ein Schmuckstück möchte ich Ihnen heute vorstellen, denn es hat mich inspiriert für die Predigt zum Kirchweihgottesdienst in Triebel. Eine liebevoll und künstlerisch besonders schön verzierte Hostiendose stand auf dem Tisch der Kirchen, die zum Seelsorgebezirk Bobenneukirchen gehören. Und als ich sie zur Hand nahm und genauer anschaute, entdeckte ich auf dem Boden der Dose eine lange Inschrift:
Andreas Gerbeth, gebohren zu Untertriebel Anno 1692, d. 20. Jun; d. 21. in daSiger Kirche getaufft und im 13ten Jahr das erstemahl das Hl. Abendmahl empfangen, dannach erlehrnter Goldschmieds-Profession und 9Jähriger Wanderschafft. Anno 1721 nach Gotha kommen und bey Ihro Durchl. Herzog Friedrich den andern als HoffGold und Silber Arbeiter angenommen worden. Da ich nun durch Hielfe Gottes in die 53. Jahr alhier mein Versorgung habe, als will zum Andencken dieses der Christl. Gemeine im 83. Jahr meines alters verehren.
Gotha, den 13. April 1775
Und dann haben wir gemeinsam geschaut, wie kunstvoll der alt gewordene Goldschmied die Dose gestaltet hat: Obenauf steht ein Lamm mit einem Kreuz in seinem rechten Vorderlauf, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt getragen und den Tod besiegt hat. Es weist darauf hin, das die Dose das Brot des Lebens birgt oder den „Leib Christi“, wie es uns beim Empfang des Abendmahls zugesprochen wird. Umgeben ist das Lamm auf dem Rund des Deckels von einem Blumenkranz. So hat vor 247 Jahren ein Mensch seine Dankbarkeit für Gottes Schutz und Bewahrung seiner Heimatgemeinde angezeigt. Wie mag es wohl gewesen sein, als der Postbote dem damaligen Pfarrer ein Päckchen aus dem Thüringischen brachte? Wie mag der gestaunt haben, als er die kleine Kostbarkeit ausgewickelt hatte und die glänzende Dose vor ihm stand. Und wie mag die Gemeinde am Sonntag gestaunt haben, was da von ihrem Altar zu ihnen herübergeglänzt hat...
Sinnzeichen des Glaubens, unser Tafelsilber, nicht nur altes Metall. Oft ist es unansehlich geworden, schwarz angelaufen; manches ist verbogen oder zerkratzt, von unachtsamen Händen zu derb angefaßt, mit Wasser gefüllt in der frostigen Kirche vergessen und geborsten...
Wenn wir diese Briefe durch die Zeit jedoch mit Herz und Verstand lesen, kann auch uns bewusst werden, wieviel Grund wir haben, Gott zu danken – und unseren Vätern und Müttern im Glauben, deren Treue und Liebe zu Gott und ihrer Gemeinde auf diese Weise zu uns herüberleuchten.