Gott redet im Gottesdienst!
von Philipp-Immanuel Albert, 09.05.2022
Anders als beim Fernsehabend, einem Konzert oder einer Show geht es beim Gottesdienst nicht darum, dass wir „unterhalten werden“ und dann für uns bewerten: „Das war gut oder das hat mir nicht gefallen”. Es geht darum, dass wir uns richtig unterhalten – nämlich mit Gott. Das braucht einen großen Einsatz, nämlich dass wir unser Herz öffnen für das, was Gott uns genau bei dieser Gelegenheit sagen möchte. Wenn uns nun etwas erfreut oder erschüttert, ins Fragen bringt oder mit Frieden erfüllt, uns berührt und nachgeht, dann fühlen wir uns „angesprochen“. Richtig! Da spricht also jemand zu uns. Nicht alles ist gleich Gottes Reden – das ist wichtig! Deshalb heißt es:
Prüft alles und das Gute behaltet! (1. Thess 5,12).
Wie redet nun Gott zu uns?
Die meisten denken jetzt bestimmt zuerst an die Predigt und machen es vom Pfarrer abhängig. Der Verkündiger ist dabei aber gar nicht so entscheidend. Gott kann sogar durch einen Esel sprechen (4. Mose 22,30). Und: es gibt noch viele andere Gelegenheiten! Das Abendmahl, die Lieder, ein Gebet, die Liturgie und natürlich Gottes Wort in den Lesungen aus der Bibel. In diesem Artikel möchte ich einen kleinen Überblick zur Bibel im Gottesdienst geben.
Schon die klassische Liturgie besteht fast vollständig aus biblischen Zitaten und will uns so mit Gottes Augen diese Welt und uns selbst zeigen. Kaum zu fassen, dass wir z. B. mit dem Blinden von Jericho und dem Vater eines todkranken Mädchens „Kyrie eleison – Herr, erbarme dich!“ rufen (Mt 15,22/20,30). Sie haben auf ihr Rufen hin das Wunder von Gottes Erbarmen erlebt!
Am Anfang von unserer Feier hören wir oftmals schon den Wochenspruch. Er soll uns nicht nur über die neue Woche hinweg im Herzen bleiben, sondern zeigt uns auch das Thema des Gottesdienstes. Versuchen Sie einmal, sich diesen Spruch zu merken und bei den Lesungen, der Predigt und den Liedern darauf zu achten, wie dieses Thema wieder aufgenommen wird. Jeder Gottesdienst ist ein gut komponiertes Bibelkonzert! Es möchte unser Staunen über Gott und seine große Liebe neu zum Klingen bringen. Insgesamt gibt es für jeden Sonntag sechs Bibeltexte, die passend zum Thema ausgesucht sind. Einer von ihnen wird jedes Jahr gepredigt. Nach sechs Jahren könnte ich also einfach eine alte Predigt wieder halten – oder wir sind allesamt im Glauben gewachsen und brauchen eine neue Predigt. Bis zu vier von diesen sechs Texten werden im Gottesdienst gelesen! Meistens wählen wir zwischen einer bis dreien aus. Die erste Lesung ist aus dem Alten Testament, die zweite aus den Briefen des Neuen Testaments (Episteln). Es sind die Glaubenszeugen, durch die Gott in der Geschichte gehandelt und geredet hat. Was sagt er uns heute durch sie? Die dritte und wichtigste Lesung ist das Evangelium. In ihm geht es um Jesus Christus, Gottes Sohn! Was er uns gesagt und für uns getan hat, ist das Zentrum jeden Gottesdienstes. Mit ihm zusammen sind wir ja gerade in diesem Gottesdienst. Wenn Sie am Morgen noch müde sind, hören Sie besser bei dieser Evangelium- Lesung gut zu, als bei meiner Predigt! Die vierte Lesung kann der Predigttext sein. Soll der Gottesdienst ganz knapp gehalten werden, dann wird nur das Evangelium gelesen und die Predigt dazu gehalten.
Wir Lutheraner stehen bei den Lesungen auf. Wie man aufsteht, wenn das Brautpaar zur Hochzeit in der Kirche einzieht, so empfangen wir stehend das Wort Gottes. Das Aufstehen ist hier ein Ausdruck von Freude und Ehrerbietung. Andere Konfessionen stehen an anderer Stelle, z.B. beim Singen oder Beten. Bei einem richtigen ökumenischen Gottesdienst könnten wir quasi die ganze Zeit stehen – aber ob wir dann noch gut hören würden?